Ein neuer Tag

 

Endlich ging es ihr wieder gut.

Die lange Durststrecke war vorüber. Ihr Körper war so müde geworden. Die vielen Medikamente und die langen Krankenhausaufenthalte hatten noch zusätzlich an ihr gezerrt. Aber das war vorbei. Die Diagnose vor einem Jahr war niederschmetternd. Jeder hatte sie nur noch mit Glaceehandschuhen angefasst. Vor der Tür wurde geflüstert und ihre Kinder saßen oft bleich am Bett und streichelten ihre Hand ganz vorsichtig.

Nach der ersten Chemotherapie ging es noch ein Stück nach unten, aber dann doch so langsam aufwärts. Ihre Haare waren ausgegangen, aber wenn sie jetzt in den Spiegel schaute, dann strahlten ihre Augen und ihr Haar war seidig wie sie es vorher gar nicht gekannt hatte. Sie fühlte sich jung, voller Energie.

Damals wollte sie es nicht wahrhaben, aber man kann dem Körper nichts befehlen, auch wenn der Kopf es möchte, Arme und Beine machten nicht mehr mit. Diese extreme Müdigkeit lähmte sie völlig. Nur im Traum konnte sie fliegen und jede Hürde überspringen.

Ihre Familie, stolz blickte sie zu ihnen hinüber. Aber warum erwiderten sie den Blick nicht und schauten so ernst? Es war doch ein herrlicher Sommertag, der Himmel blitzblank geputzt. Sie wirkten fast verloren in diesem Park mit den hohen Lebensbäumen, die mahnend ihren Kopf in den Himmel streckten. Überall blühten Blumen und ihre Kleine hielt ein farbenfrohes Sträußchen in ihren Händen. Wo war die Freude, eine glückliche gesunde Familie zu sein? Sie schienen zu weinen, aber warum nur?

Auf einmal verdunkelte sich der Himmel, nur der Horizont schimmerte golden und dieser Moment fesselte sie gewaltig, so dass ihr Mann, ihre Kinder völlig gegenstandslos wurden. Die Trauer, die sie eben verspürte zerfloss mit dem goldenen Hintergrund des Firmaments. Sie wollte winken und rufen, aber eine starke Macht zog sie weiter und weiter. Mit aller Gewalt wollte sie sich erinnern, doch sie vergaß völlig woran. Die Gegenwart vermischte sich mit der Vergangenheit und ein so tiefes Glücksgefühl  breitete sich in ihrem Inneren aus wie ein schwarz-weißes Foto, das langsam an Farbe gewinnt. Es war als wenn ein Vorhang aufgezogen wird und das Licht die Augen blendet.

Nur die Zukunft war verschwunden, sie blieb zurück in diesem kleinen Park, bei den Menschen, deren Liebe ihr gehörte. Es war Zeit zu gehen und wie bei einer Geburt bei der sich die Aura ausbreitet, so zog sie sich jetzt zurück. Die Nacht war vorüber, der Sternhimmel erlosch und ein neuer Morgen zeigte sich in seiner ganzen Herrlichkeit.

 

Geli - 2013

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