Hans schlurfte missmutig durch die Straßen. Überall wurden die Tannenbäume aufgebaut, in den Straßen leuchteten bunte Lichter. In vielen Fenstern sah er Lichterbögen, die Wärme verbreiteten. Es roch den typisch adventlichen Duft, nach Zimt und Kardamom. Er war zornig und Selbstmitleid machte ihm zu schaffen.

Früher war alles besser, dachte er. Früher hatte Hilde noch gelebt, aber sie war seit einem Jahr tot. Noch vor zwei Jahren hatte sie das Wohnzimmer festlich geschmückt, dabei ein Weihnachtslied gesummt und so oft Plätzchen gebacken. Selbst als ihr einziger Sohn seine eigenen Wege gegangen war, hatte sie es sich nicht nehmen lassen. Aber nun war sie fort, es war sehr schnell gegangen und so richtig fassen konnte er es immer noch nicht. Er war einsam geworden und selbst wenn Christian anrief, war er nur einsilbig. Schon im letzten Jahr hatte er die Einladung zum Fest ausgeschlagen, obwohl er wusste, dass seine Kinder ihn gern dabei gehabt hätten. Seinen Enkel hatte er nur einmal gesehen, dabei hatte Kai bald seinen ersten Geburtstag.

Seine Fröhlichkeit war ihm abhanden gekommen. Alles erledigte er mechanisch. Er stand morgens auf, aß sein Frühstück, räumte auf und ging dann seine Runde durch den Park, dann Mittagessen und oft schaltete er  schon früh den Fernseher an und schaute die Serien im Nachmittagsprogramm. Manchmal setzte er sich an den PC  und surfte durch die bunte Welt, die so nichtssagend war. Das Internet war nur ein scheinbarer Freund, dem er wenig abgewinnen konnte. Er hatte sich abgekapselt, seine Freunde vernachlässigt und er grollte dem, der ihm seine geliebte Frau genommen hatte. Hans war nie wirklich gläubig gewesen, aber er hatte im Krankenhaus gebetet, obwohl er wusste, dass es keine Heilung geben würde. Warum gab es nur im Märchen Wunder und warum war die Realität oft so grausam?

Auf dem Markt kaufte er sich zwei Äpfel und ein wenig Gemüse für das Mittagessen. Mitten auf dem Platz richteten einige Männer eine riesige Tanne auf. In ein paar Tagen würden hier Buden stehen, die Weihnachtliches verkaufen. Er schnupperte, ein wenig Glühweinduft lag schon in der Luft und er merkte wie es sich in seinem Herzen regte als wenn dort ein Eisklumpen tauen würde. Hilde fehlte ihm sehr, sie war sein Leben gewesen und mehrfach in der Woche besuchte er das Grab, um mit ihr stumme Zwiesprache zu halten. Würde er sie wiedersehen? Sie hatte es ihm versprochen bevor sie die Augen für immer geschlossen hatte. Er spürte, dass er hoffen wollte. Hoffnung war so wichtig, erst wenn auch sie sterben würde, war alles endgültig vorbei.

Ein wenig strafften sich seine Schultern und auf dem Heimweg kam ihm der kleine Paul entgegen. Auf dem Rücken trug er einen Ranzen, der ganz schief saß. Auch er ging langsam, seine Bäckchen waren ganz rot und er sah abgespannt  aus. Die Schule machte ihm Freude, aber die Anforderungen waren gewaltig und selbst ein kleiner Dreikäsehoch wurde dann müde, zumal er auch noch Hausaufgaben machen musste. In der Hand hielt Paul eine Kerze. Sie war auf einem kleinen Holzbrett befestigt und mit Tanngengrün geschmückt. Als sich ihre Blicke trafen, lächelten sie sich an.

Paul rief:“ Herr Müller, schauen sie mal, was wir heute gebastelt haben.“ Seine Stimme überschlug sich vor Freude. Hans wusste, dass es Pauls Mutter nicht einfach hatte, den Kleinen allein durchzubringen. Der Vater war auch gestorben und wesentlich jünger als Hilde gewesen.

„Deine Mama wird sich aber freuen“, entgegnete er und strich im leicht über den Kopf, bevor er langsam die Stufen zu seinem Häuschen emporstieg.

Paul winkte ihm hinterher und das Tannengrün wippte auf und ab.

Er fühlte sich ein wenig leichter, auch wenn er immer noch den brennenden Schmerz hinter dem Brustbein verspürte. Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die uns ein wenig Atem einhauchen, uns spüren lassen, dass alles gut wird und Erinnerungen bleiben. Niemand kann sie uns nehmen.

Vielleicht würde er nachher in den Keller gehen und die Adventsschale mit Kerzen bestücken. Hilde hätte sich gefreut und ein wenig freute er sich auch darauf.

Hans schaute auf die Uhr. Eigentlich könnte er doch Christian anrufen und fragen, was er Kai denn schenken soll. Voller Tatendrang griff er zum Hörer und wählte die Nummer.

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